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Das Mythos der tiefen Hypnose

Der folgende Text stammt von Olf Stoiber, Hypnotherapeut und Trainer bei Hypnovita Hypnose

Immer wieder bekomme ich die Frage gestellt, ob ich auch tiefe Hypnose beherrsche. In der Regel gebe ich die Antwort in Form einer Gegenfrage: "Sie wollen also wissen, ob ICH in tiefe Hypnose gehen kann?"

Nein, das will mein Gesprächspartner natürlich nicht. Sondern er will wissen, ob ich mit ihm das gleiche machen kann, was er in irgendeinem YouTube-Video gesehen oder im gestrigen Fernsehbeitrag über Hypnose miterlebt hat: Ihn komplett ausschalten, umprogrammieren, dann wieder aufwecken. Problemlösung quasi per Fingerschnipp, ohne eigenes Zutun oder Nachdenken: In der Show klappt's doch auch! Oder?

Nun - genau das wage ich zu bezweifeln. Hypnose ist zwar eines der fantastischsten Werkzeuge überhaupt, wenn man sich tiefgreifende Veränderung im eigenen Denken, Handlen oder Fühlen wünscht, aber meist mit doch mehr Aufwand verbunden, als es uns die 30-Sekunden-Zack-Bumm Blitzintervention im Video suggerieren will. Und - ohne eigenes Nachdenken und Umdenken geht's auch mit Hypnose nicht. Behaupte ich jetzt einfach mal, aber - vielleicht kann ich "es" auch einfach nicht? Denn in den Videos ...

Stop! Was sehen wir denn eigentlich GENAU im Video? Hypnotiseur spricht, winkt, deutet oder schreit kurz, Hypnotisand schließt die Augen und ist scheinbar schlagartig in eine tiefe Trance gefallen. Glauben wir zumindest als Zuschauer, denn im Augenblick können wir uns natürlich nur auf das verlassen, was wir sehen. Was der Hypnotisand in dem Augenblick fühlt ... wir können es nur erahnen. Wenn er im Anschluss wieder die Augen öffnet und ganz verdutzt davon berichtet, sich an nichts mehr erinnern zu können, ist das Bild der tiefen Hypnose natürlich perfekt.

Nach wie vor können wir uns nur auf das verlassen, was wir sehen und hören - und auf all das, was wir in das Erlebte hineininterpretieren. Beim Anschauen von Videos fehlt uns schlicht und ergreifend die Möglichkeit, differenziert nachzuhaken, um tatsächlich herauszufinden, was mit dem Hypnotisanden geschehen ist. Genau das wäre aber dringen nötig, wenn wir ernsthaft herausfinden wollen, WAS denn nun genau geschehen ist: War der Klient in tiefer Trance, oder hat er alles mitbekommen? Hat er tatsächlich eine tiefgreifende Veränderung erlebt, die von Dauer ist, oder nur einen kurzzeitigen Effekt erfahren?

Film zurück - um ca. zehn Jahre. Ich habe selbst gut zwei Dutzend Hypnoseshows gemacht, weil ich a) wissen wollte, was auf der Bühne geschieht, und b) damals großen Spaß daran hatte. Nach einem dreiviertel Jahr habe ich das Thema Show dann für mich persönlich ad acta legen können, da sich mein Schwerpunkt rasch auf die therapeutische Arbeit verlagerte und ich dort genug zu tun hatte. Nichts desto trotz möchte ich diese Zeitphase nicht missen, da es meine ganz persönliche Chance war, einen Blick hinter die Kulissen der Showhypnose zu werfen und ich somit heute einen wesentlich differenzierteren Blick auf dieses Thema werfen kann.

Nach jeder Show habe ich meine Teilnehmer gefragt, wie es ihnen gefallen hat - und wie sie ihre Teilnahme erlebt haben. Schnell fiel mir auf, dass die Antwort in äußerstem Maß von der Art meiner Fragestellung abhängig war. Als Hypnotherapeuten wissen wir, dass selbst nach der Exduktion der Trance noch einige Minuten lang eine stark erhöhte Suggestiblität besteht. Fragte ich also "Du hast in Hypnose bestimmt nichts mehr mitbekommen?" war die Antwort fast immer "Ja, stimmt.". Fragte ich jedoch "Du hast doch bestimmt alles mitbekommen, stimmt's?" war die Antwort in der Regel: "Ja, klar doch!" . Da selbe Spiel konnte ich mit fast allen anderen Fragen auch wiederholen, wie zum Beispiel: "Warst du sehr tief in Trance?" versus "Du hast dich durch die Hypnose wahrscheinlich sehr entspannt gefühlt, hättest aber auch jederzeit anders handeln können und hast eigentlich rein freiwillig auf meine Suggestionen reagiert - stimmt's?". Jedesmal: Ja, ja, ja - eine Bestätigung meiner Frage, so, wie ich sie gestellt habe.

Dieses Phänomen tritt genauso bei Blitz-,Schnell-,Zackbumm- oder Tiefenhypnose auf. Der Klient ist (bis auf wenige Ausnahmen, die es tatsächlich gibt!) eigentlich fast zu jeder Zeit im Stande, sich selbst aus der Trance zu nehmen. Er muss die Augen nicht schließen, er muss nicht wie vom Blitz getroffen in sich zusammenfallen, sobald das Kommando kommt. Aber - es ist doch einfacher, situativ angemessener und auch wünschenswerter, wenn genau das eintritt, was der Hypnotiseur verlangt. Schließlich WILL man selbst ja die Hypnose erleben - warum sollte man sich also wehren?

Zusammengefasst ergibt sich für mich die Tatsache, dass viele Induktionen toll, phänomenal schnell und supertief WIRKEN, dies aber nicht zwangsläufig auch sein müssen. Sofern wir keine Möglichkeit haben, differenziert nachzufragen, werden wir es wohl auch nie wissen. Es gibt zwar verschiedenste Möglichkeiten, die Tiefe einer Trance zu messen, diese definieren sich allerdings allesamt selbst; sprich, die Skala ist in der Regel auch mehr subjektiv denn objektiv vergleichbar: Ausnahmen bestätigen die Regel. 

Mein Fazit? Kreative Induktionen, die zuweilen einen sehr schnellen Effekt erzielen, machen durchaus was her - keine Frage. Den Rückschluss, dass sich hieraus auch eine höhere Effizienz der anschließenden therapeutischen Intervention ergibt, halte ich jedoch für unzulässig. Je geschliffener meine eigene Hypnosearbeit, desto weniger bin ich von der genutzten Induktion abhängig.